NHL Observer

Eine ganze Generation von Eishockeyfans in der Provinz Québec kannte die grossen Erfolge ihrer Habs nur vom Hörensagen und Erzählungen ihrer Eltern und Grosseltern. Jetzt können sie endlich auch feiern und sagen: Wir waren dabei! Corona-Pandemie hin oder her.

Nach jeder gewonnenen Playoff-Serie steigt in der Regel im Centre Ville von Montréal eine grosse Feier, wo mitunter auch den Emotionen freien Lauf gelassen wird. Was bis in die 90er Jahre normal war – sprich einen Playoff-Lauf bis mindestens in die Conference Semifinals oder in die Finalserie – wurde in den letzten 25 Jahren zu einem raren Highlight. Und so feierte man natürlich seitdem jede überstandene Playoff-Serie ausgelassen. Auch 2002,2004 und besonders 2010 und 2014 konnten die Habs die Fans begeistern und die „Habs-Nation“ war dankbar für die schönen Playoff-Momente. Viele Eishockeyfans aus der so genannten „Generation Z“ (damit sind die um die Jahrtausendwende geborenen Jugendlichen und jungen Erwachsenen gemeint) kennen die grossen Erfolge der Habs nur aus den emotionalen Erzählungen ihrer Eltern und aus dem Storytelling der Montreal Canadiens Organisation.

Covid? So what! So etwas erlebt man nicht alle Jahre...

Nun erlebt auch endlich die jüngere Generation der Habs Fans ähnliche emotionale Höhenflüge wie einst ihre Eltern und Grosseltern. 28 Jahre nach der grossen Stanley Cup Feier in Montreal, als Millionen der Parade auf der Rue St. Catherine und Rue Sherbrooke beiwohnten, könnte auch diesmal die Party in Montreal steigen. Jedoch – wegen der Covid-Pandemie - unter ganz anderen Voraussetzungen. Diese hat allerdings in Montreal die Fans nicht davon abgehalten, jeweils bei den Public Viewings zahlreich zu erscheinen und nach jeder gewonnenen Playof-Serie im Centre Ville ausgelassen zu feiern. Besonders nach dem Heimsieg gegen Las Vegas in Spiel 6 gab es kein Halten mehr.

Endlich auch eigene Helden als Vorbilder

Jene, die mitverantwortlich waren für die grossen Erfolge der 80er und 90er Jahre, freuen sich besonders für die Fan-Generation, die diese Emotionen erstmals ausleben darf. So sagten Guy Carbonneau – Stanley-Cup-Sieger-Captain der „Habs“ 1993 und seine damaligen Teamkollegen Benoît Brunet und Vincent Damphousse (alle aktuell als Experten und Panelisten im Sport TV Sender RDS beschäftigt): „Dieser Playoff-Erfolg ist sehr wichtig für die Bindung der jungen Fans an den Club. Man geht natürlich durch dick und dünn. Aber eine Identifikation findet eben nicht nur durch die Historie statt, sondern eben auch durch gemeinsam erlebte Erfolge. Das ist sicherlich der schönste Nebeneffekt von allen.“ Sehr wichtig: In Montreal sind die„alten Helden allgegenwärtig. Nun hat die aktuelle Generation endlich auch ihre eigenen Helden in Nick Suzuki, Cole Caufield, Carey Price & Co.

„Canada's Team“

Auch für die Hockeynation Kanada ist dieser Playoff-Erfolg einer Mannschaft, die landesweit sehr viele Fans mobilisiert, von grosser Bedeutung. Man tröstete sich – nach wiederholtem Scheitern der in Kanada beheimateten Teams in Semi-Finals und Finalserien - seit Jahren mit den vielen Olympischen Goldmedaillen oder WM-Titeln. Auch betont man gerne, dass die Führungsspieler der in den USA stationierten NHL-Teams meist auch Kanadier sind. Aber eine Stanley-Cup-Parade in einer Stadt Kanadas gehört zu den aktuellen Sehnsüchten der Fans „North of the Border“.

Psychologische und ökonomische Faktoren

Playoff-Erfolge kanadischer Teams haben neben gesellschaftlichen auch ökonomische Faktoren: Die Wertschöpfung ist für die gesamte NHL ungleich höher dank höherer Sehbeteiligung - die TV-Quoten in Kanada sind um ein Mehrfaches höher als in den USA - sowie grösserer Anteilnahme der Fans im Kernland des Eishockeys und in den grössten Zielmärkten. Dies geschieht unter anderem durch mehr flankierende Ausgaben vor, während und nach den Spielen. Auch die Werbewirtschaft setzt in diesen Fällen mehr um. Dies war auch in den letzten zwei von der Covid-Pandemie betroffenen Playoff-Jahren der Fall.

Schmerzhafte Finalerfahrungen

Seit 1993 gab es keine Stanley-Cup-Feier in einer der kanadischen NHL-Städte. Mehrere Playoff-Semifinals und fünf Playoff-Finalteilnahmen wurden seit dem grossen Sieg der Montreal Canadiens verbucht. Und in vier der fünf Finalserien scheiterten die Vancouver Canucks 1994, die Calgary Flames 2004, die Edmonton Oilers 2006 und 2011 die Vancouver Canucks erst in Spiel 7, nachdem sie eigentlich die Finalserie spielerisch leicht dominierten. Einzig die Ottawa Senators waren ihrem damaligen Gegner Anaheim Ducks in den entscheidenden Finalspielen im Jahr 2007 nicht ganz ebenbürtig. Besonders schmerzlich sind die Erinnerungen an das reguläre, aber nicht gegebene Tor von Martin Gélinas in den Schlussminuten von Spiel 6 in Calgary wegen angeblicher „Kicking Motion“ (gegen Tampa Bay). Dieser Treffer hätte wohl die Entscheidung zu Gunsten der Flames bedeutet. Danach waren auch Edmonton und Vancouver ganz nahe am Exploit. Und jedes Mal war es auch so, dass die in der Regel verfeindeten Fangruppen der anderen kanadischen Clubs bedingungslos hinter dem letzten Vertreter aus Kanada standen. Nun sind auch die Montreal Canadiens „Canada's Team“.

Joël Ch. Wuethrich publiziert wöchentlich Hintergrundberichte über die NHL in der führenden Deutschen Fachpublikation Eishockey News und hat ein ausgezeichnetes Beziehungsnetz in Nordamerika. Seit 1992 ist er Chefredaktor diverser namhafter Publikationen, unter anderem auch war er beim Slapshot sowie beim Top Hockey Chefredakteur und war zudem lange Jahre für den Spengler Cup strategisch in Marketing und PR sowie als Chefredaktor tätig. Joël Ch. Wuethrich leitet seit 1992 hauptberuflich eine crossmedial aufgestellte PR-Agentur und eine Player's Management Agentur (Sportagon), ist Crossmedia-Stratege und HF-Dozent mit Lehrauftrag für Kommunikation und Marketing. Er analysiert seit 30 Jahren als Autor/Chefredakteur in der Schweiz, Deutschland sowie in Kanada die NHL und beobachtet das Eishockeygeschehen weltweit intensiv. Der Familienvater (zwei Kinder) arbeitet in der Schweiz und in Montréal, wo ein grosser Teil seiner Verwandtschaft wohnt.

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Was passiert hinter den Kulissen der NHL und was steckt hinter den Geschichten, die uns bewegen? NHL Insider Joël Ch. Wuethrich öffnet für SHN sein NHL Netzwerk.