NHL Observer

Der Stanley Cup Final schreibt nicht nur sportliche Geschichten. Im Team der Tampa Bay Lightning befinden sich vier Québecois. Bei Montreal gehört mit Phillip Danault nur einer aus der Provinz Québec zu den Stammspielern.

Im erweiterten Kader befinden sich noch drei weitere, aber dennoch fällt auf, dass der frankokanadische Einschlag beim Team aus Florida stärker ist als bei den Habs. Auch wenn der Chefcoach Dominick Ducharme und der GM Marc Bergevin aus der Provinz stammen, so kommt dennoch immer wieder die Polemik auf, man habe seine „Werte“ verraten. Sogar 2021 –während den erfolgreichen Playoff-Wochen – war und ist es ein Thema.

Ist das Jammern auf hohem Niveau, oder hat diese leise Kritik eine Berechtigung? Tatsache ist: Am 10. Mai 2021 musste Phillip Danault für die Vorrunden-Partie gegen die Edmonton Oilers verletzt passen und Jonathan Drouin zog sich zuvor bereits aus persönlichen Gründen für die Restsaison zurück. Alex Belzile war ebenfalls nach zuvor guten Leistungen nicht im Kader und Xavier Ouellet stand im AHL Team der Laval Rockets. Erstmals in der NHL-Historie der Canadiens de Montréal, die einst mit der Philosophie und Wertehaltung der „Heimat für die Fankokanadier“ gegründet wurden und zum statistisch erfolgreichsten NHL-Club wurden, ging ein NHL-Spiel ohne einen einzigen Québecois im Dress der „Sainte Flanelle“ über die Bühne. Eine Polemik sondergleichen folgte.

Von 16 auf einen Einzigen

Szenenwechsel: Seit 1993 standen die Habs nicht mehr im Stanley Cup-Finale. Damals standen 16 Québecois im Kader des Stanley Cup Siegers. Unter ihnen Guy Carbonneau als Captain und Leitwolf, Patrick Roy, Eric Desjardins, Denis Savars, Vincent Damphousse, Patrice Brisebois und viele mehr. Auch viele im Staff und der Chefcoach Jacques Demers sowie General Manager Serge Savard stammten aus der Provinz. Als so genannte Habitants, also „Einheimische“ aus Montréal oder aus der Provinz Québec spielten sie eine Schlüsselrolle – sowohl auf dem Eis wie auch gesellschaftlich. Sie prägten auch die Identifikation mit dem Club. 28 Jahre später vertreten der GM, der Chefcoach und ein Spieler – Phillip Danault – in den Stanley Cup-Finals die Provinz.

Ein Montréalais als Architekt der Bolts

Da geht der Blick etwas neidisch in Richtung Tampa Bay: Neben den Spielern Yanni Gourde (einer der besten Freunde von Phillip Danault), Alex Killorn, David Savard und Mathieu Joseph ist auch Julien Brisebois ein Québecois, ja sogar ein echter Montréalais. Er ist der Architekt hinter den Erfolgen derBolts in den letzten Jahren. Ein Montréalais durch und durch.

Brisebois ist ein Ziehkind von Steve Yzerman. Letzterer gilt als Mastermind hinter der aktuellen Bolts-Strategie. Im Jahre 2001 startete Brisebois seine NHL Karriere in der Rechtsabteilung der Canadiens de Montréal, wo er zur Saison 2003/04 zum Director of Hockey Operations ernannt wurde. Neun Jahre war er für die Canadiens tätig, unter anderem auch als General Manager des damaligen Farmteams Hamilton Bulldogs. Als Julien Brisebois 2010 als Assistent von Steve Yzerman bei den Tampa Bay Lightning anheuerte, war der Weg schon vorgeschrieben: Er sollte der Nachfolger von „Stevie Wonder“ werden und zugleich übernahm er erneut die Pflichten des General Managers des Farmteams, der Norfolk Admirals und gewann sogar den Calder Cup. Seit September 2018 ist er GM der Bolts, baute erfolgreich an der Strategie weiter und machte 2019 als Topfavorit auf den Stanley Cup die schmerzliche Erfahrung eines Playoff-Sweeps. Er zog die richtigen Schlüsse und holte 2020 den Stanley Cup.

Einst Die Hard Fans, jetzt Gegenspieler

Es steckt aber noch mehr Québec in den Bolts - interessant ist die Geschichte von Yanni Gourde. Ausgerechnet er bekam die Aufgabe, in den Stanley Cup-Finals gegen das Trio seines Freundes Phillip Danault zu agieren, die in den drei Playoffrunden zuvor jeweils die Toplinien der Leafs, Jets und Golden Knights zur Verzweiflung brachte. Gourde und Danault waren einst Teamkollegen in der QMJHL bei Victoriaville und blieben seitdem gute Freunde. Zusammen mit Alex Killorn und David Savard sowie Mathieu Joseph entwickelt(e) Yanni Gourde als die French Connection der Bolts natürlich eine besondere Motivation gegen den Club im Stanley Cup-Finale zu spielen, den man in der Jugend so liebte und unterstützte. Denn alle vier bekennen sich offen dazu, dass sie immer grosse Fans der Habs waren.

Joël Ch. Wuethrich publiziert wöchentlich Hintergrundberichte über die NHL in der führenden Deutschen Fachpublikation Eishockey News und hat ein ausgezeichnetes Beziehungsnetz in Nordamerika. Seit 1992 ist er Chefredaktor diverser namhafter Publikationen, unter anderem auch war er beim Slapshot sowie beim Top Hockey Chefredakteur und war zudem lange Jahre für den Spengler Cup strategisch in Marketing und PR sowie als Chefredaktor tätig. Joël Ch. Wuethrich leitet seit 1992 hauptberuflich eine crossmedial aufgestellte PR-Agentur und eine Player's Management Agentur (Sportagon), ist Crossmedia-Stratege und HF-Dozent mit Lehrauftrag für Kommunikation und Marketing. Er analysiert seit 30 Jahren als Autor/Chefredakteur in der Schweiz, Deutschland sowie in Kanada die NHL und beobachtet das Eishockeygeschehen weltweit intensiv. Der Familienvater (zwei Kinder) arbeitet in der Schweiz und in Montréal, wo ein grosser Teil seiner Verwandtschaft wohnt.

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