NHL Observer

Die Rückkehr der Fans in die NHL-Stadien Kanadas ist ein Segen für alle, die in der Wertschöpfungskette rund um die Spiele involviert sind.

Noch Ende September wurde vom Bundesamt für Gesundheit der Provinz Québec („Ministère de la Santé et des Services Sociaux“) und den Behörden anderer Provinzen Kanadas klar kommuniziert, dass zum Saisonbeginn und auf unabsehbare Zeit eine volle Auslastung eines Indoor-Stadions (noch) nicht zu verantworten sei. Aber dann kam die überraschende Trendwende: Die in Kanada beheimateten NHL-Teams werden zum Saisonstart nun doch die volle Auslastung zulassen dürfen. Die Pandemielage hat sich in Kanada in den letzten Wochen etwas entschärft und die Impfquote sei angestiegen, haben die Behörden aller Provinzen verlauten lassen. Nun könne man es doch verantworten, die Stadien wieder zu füllen, hiess es. Ausserdem verspürte man (ganz inoffiziell natürlich) den Druck einiger Verbände aus Wirtschaft und Gewerbe, die in hohem Masse abhängig sind von der Wertschöpfungskette, eine „bessere Hybridlösung“ als die bisherige zu finden. Diese hielt eine Zuschauerauslastung zwischen 33 bis 50 Prozent fest. Das Problem dabei: Der Nachteil für die in Kanada beheimateten NHL-Teams gegenüber den US-Teams hätte in so einem Falle nicht nur über eine geringere Fanpräsenz resultiert, sondern auch Nachteile generiert durch weniger Umsätze beim Merchandising wie auch im Catering und Food- wie auch Non-Food-Bereich, in den Logen oder in anderen umsatzstarken Bereichen wie separate Events im Stadion. Auch die Dienstleister und Lieferanten, die direkt mit dem Grossevent NHL-Spiel Geld verdienen, hätten weniger Umsatz. Und nicht zu vergessen all jene Betriebe und Shops (Hotels, Restaurants, Food und Retail) in der Stadionperipherie. Bei den populären Klubs geben die Fans auch mehr Geld für Souvenirs aus und sind Stammgäste, was den „betriebswirtschaftlichen Wert“ des einzelnen Fans noch erhöht.

Nun werden die in Kanada ansässigen Clubs und alle in der Wertschöpfungskette Involvierten aufatmen. Die Auflagen sind überschaubar, aber nicht immer einfach umzusetzen: Nur Geimpfte, Genesene und Getestete haben Zutritt und alle müssen eine Schutzmaske tragen – und zwar während des gesamten Events. Ausnahmen werden nur dann gestattet, wenn man Nahrung oder ein Getränk zu sich nimmt. In manchen Fan-Foren wird bereits spekuliert, dass „man sich vor dem Start der Partien gut eindecken werde mit Trink- und Essbarem und so die Masken des Öfteren fallen lassen könne“. Manche kritisieren zudem, dass die Stimmung leiden könne wegen dem Maskenzwang. Aber die meisten sind einfach nur froh um den Umstand, wieder ins Stadion zu dürfen. Ansonsten gelten die üblichen, auch bei uns bekannten, Massnahmen und Regelungen.

Der Einfluss der Fans

Den Kanadischen Clubs fällt ein Stein vom Herzen. Bereits schon während den Playoffs 2021 bestand ab der Halbfinalrunde (Las Vegas gegen Montréal) ein Ungleichgewicht im Fan-Support. So auch in der Stanley-Cup-Finalserie (Tampa Bay gegen Montréal). Der Aspekt der übertragenen, aufputschenden Energie und motivierenden Unterstützung durch die Fans ist - besonders in den Playoffs - ein nicht zu unterschätzender Aspekt, wie viele Studien zeigen. Die meisten Auswertungen sind statistisch gestützt. Aber es sagen auch einige Sportwissenschaftler/innen, dass der Heimvorteil eher weniger mit den Zuschauern im Stadion zu tun habe. Der Einfluss der Zuschauer würde nämlich systematisch überschätzt. Diese Überschätzung habe mehrere Gründe. Einer ist die Motivation, es den feindseligen Fans so richtig zu zeigen. Und: Die NHL-Profis sind nunmehr so fokussiert auf ihre Leistung und psychologisch so gut vorbereitet, dass sie aus jeder Lage und aus jeder Emotion das Momentum ziehen können. Ausserdem: Die Schiedsrichter lassen sich weniger beeinflussen als früher. Aber: Der Vorteil, vor einem engagierten oder gar fanatischen Publikum zu spielen resultiere, so sagen die sportwissenschaftlichen Studien, eher mit der Vertrautheit mit der eigenen Sportstätte, dem Stadion und der Kabine. Dass die Fans aber das viel zitierte Momentum beeinflussen können, ist empirisch zwar nicht beweisbar, aber „gefühlt erwiesen“. Was dann aber in Synergie mit der Fan-Unterstützung mitwirken müsse, sei entweder die Übernahme des Zepters der Heimmannschaft in spielerischer, kämpferischer oder emotionaler Sicht.

„Flankierende Umsatzverluste“

Der Nachteil für die in Kanada beheimateten NHL-Teams resultiert aber nicht nur über die aufgrund der Corona-Massnahmen mangelnde Fanpräsenz, sondern – wie bereits eingangs erwähnt - auch in den „flankierenden“ Einnahmeverlusten (Merchandising, Catering, Food- wie auch Non-Food, Logen oder separate Kunden-Events im Stadion wie auch bei Dienstleistern wie zum Beispiel Hotels, Restaurants, Food und Retail in der Stadionperipherie).

Wie stark die Zuschauerbeschränkungen die Kanadischen NHL-Teams bisher schmerzte, zeigen folgende Auswertungen: Im Liga-Durchschnitt fehlten während der Pandemie bei Partien ohne Fans pro nicht durchgeführtes Heimspiel rund 1,312 Millionen Dollar an Ticketverkäufen, 215'000 an Catering- und Verpflegungseinnahmen, rund 90'000 Dollars für Fanartikel- und Devotionalien, 50'000 bei zusätzlichen Werbeeinnahmen (Angabe ausschliesslich für Einnahmen aus den Werbemassnahmen im und um das Stadion) und rund 17'000 aus den Parking-Einnahmen. Das ist jedoch nur der Liga-Durchschnitt. In Toronto und Montreal oder Vancouver waren diese fehlenden Einnahmen sogar wesentlich höher als dieser NHL-Medianwert. So erreichen die Kalkulationen in Toronto, Montreal oder Vancouver mit Einbezug aller flankierenden Faktoren die 3 Millionen-Marke. Und sogar noch höher bei einem so genannten „Premium“-Spiel, wo man die Ticketpreise variabel gestaltet. Nun kann man einfach ausrechnen, wie viel den Kanadischen Clubs entgeht, wenn man das Stadion nur zu einem Drittel füllen darf.

Wo ebenfalls Nachteile entstehen würden: NHL-Clubs wie die Toronto Maple Leafs und Canadiens de Montréal sind nicht nur bezüglich des generellen Zuschauerinteresses (Stadionbesuch, TV-Ratings, Impact in der Community...) die Besten in der NHL, sondern auch in der nationalen und lokalen Vermarktung. Mit weniger Fans im Stadion kann man nicht mehr die gleichen Preise bei den Promo- und Werbepaketen durchsetzen. Immerhin wird eines bleiben: Teams wie die Canadiens de Montréal setzen mit lukrativen lokalen TV-Verträgen noch mehr um als mit dem aus dem nationalen TV-Vertrag generierten Zustupf. Ausserdem sind die reicheren und populären Teams der NHL wie die „Habs“, Leafs & Co. zudem auch beliebte Partner bei Grossunternehmen und Marken, wenn es um die Testimonial- und Imagevermarktung sowie die Miete bei den Stadionlogen geht. Prinzipiell sieht es – Ligen übergreifend – grob umrissen folgendermassen aus: Die Einnahmen der Clubs erwirtschaften sich aus den TV-Geldern, dem Umsatz der Zuschauer rund um den Stadionbesuch, Werbeeinnahmen und Merchandising.

Stadionauslastung ist ein wichtiger Budgetposten

Und last but not least: Die NHL Clubs sind betreffend ihrer Budgethöhe in der Regel stärker vom Umsatz im Stadion (Einnahmen aus dem Ticketverkauf und Umsätze im Stadion) abhängig als die Clubs der anderen grossen Mannschaftssport-Ligen in Nordamerika. Bei vielen NHL-Clubs machen die Einnahmen, die direkt aus dem Stadionbesuch generiert werden, fast 50 Prozent in der Budgetberechnung aus, andere kommen mit 30 Prozent aufgrund des guten „crossmarket premium seating“ aus. In der NFL oder NBA ist die Abhängigkeit deutlich geringer. Die Auslastung der Arenen mit verschiedenen Events („crossmarket premium seating“) und nahezu täglicher 100-prozentiger Belegung an über 300 Tagen im Jahr, verbunden mit optimalem Crossmedia-Marketing, garantiert einigen Clubs hohe Einnahmen. So ist das Air Canada Center, welches dem Besitzer der Maple Leafs gehört (Maple Leaf Sports & Entertainment), eine der am besten belegten Stadien Nordamerikas. Der Grossteil der 138 Millionen Dollar Gewinn (2017/18) sind durch diesen Weg entstanden. Die Auslastung der Stadien ist, und das ist kein Zufall, bei den meisten der 15 „wertvollsten“ Teams nahezu optimal.

** Der Autor ist Inhaber einer Marketingagentur, Marketingdozent und erfahrener Sportvermarkter.

Joël Ch. Wuethrich publiziert wöchentlich Hintergrundberichte über die NHL in der führenden Deutschen Fachpublikation Eishockey News und hat ein ausgezeichnetes Beziehungsnetz in Nordamerika. Seit 1992 ist er Chefredaktor diverser namhafter Publikationen, unter anderem auch war er beim Slapshot sowie beim Top Hockey Chefredakteur und war zudem lange Jahre für den Spengler Cup strategisch in Marketing und PR sowie als Chefredaktor tätig. Joël Ch. Wuethrich leitet seit 1992 hauptberuflich eine crossmedial aufgestellte PR-Agentur und eine Player's Management Agentur (Sportagon), ist Crossmedia-Stratege und HF-Dozent mit Lehrauftrag für Kommunikation und Marketing. Er analysiert seit 30 Jahren als Autor/Chefredakteur in der Schweiz, Deutschland sowie in Kanada die NHL und beobachtet das Eishockeygeschehen weltweit intensiv. Der Familienvater (zwei Kinder) arbeitet in der Schweiz und in Montréal, wo ein grosser Teil seiner Verwandtschaft wohnt.

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Was passiert hinter den Kulissen der NHL und was steckt hinter den Geschichten, die uns bewegen? NHL Insider Joël Ch. Wuethrich öffnet für SHN sein NHL Netzwerk.