NHL Observer

Bei einigen Playoff-Paarungen 2021 wurden von den Fachleuten bereits im Vorfeld die Favoritenrollen klar zugeteilt: Winnipeg, Minnesota, St. Louis und Nashville und mit Abstrichen auch Montreal sahen sich in eine Aussenseiterrolle gedrängt.

Was jedoch gerne ausser Acht gelassen wurde, waren jene Aspekte, die nicht klar messbar und auf den ersten Blick nicht sofort sichtbar sind: Die „Intangibles“. Und diese spielten in einigen Playoff-Paarungen der ersten Runde eine Rolle.

Man könnte es als Plattitüde hinstellen - aber dennoch hat der abgedroschene Satz, den alle an den Playoffs Beteiligten gerne zum Besten geben, seine Richtigkeit: In den Playoffs gibt es keine Favoriten und es „ist der Beginn einer ganz neuen Saison“. Ja, tatsächlich gelten in den Playoffs in sportlicher Hinsicht andere Gesetze und so manche Aussenseiter stellen den Favoriten ein Bein. Aber: Nicht ohne Grund waren die Favoriten ja auch in der Qualifikation weiter vorne und je besser platziert, desto öfter profitieren diese während den Playoffs bezüglich Heimrecht in einem allfälligen Spiel 7 von einer leicht besseren Ausgangslage. Nichts desto Trotz: Die Intangibles, was in der Sportsprache so viel bedeutet wie „nicht messbare, aber spielbeeinflussende Werte“, können die Parameter verschieben und machen manchmal den kleinen, aber feinen Unterschied.

Das viel zitierte Momentum und die Kaderdynamik

In den aktuellen NHL Playoffs 2021 hatte eigentlich nur einer der designierten Topfavoriten bisher „leichtes Spiel“: Die Colorado Avalanche, die unter anderem auch von den kurzfristigen Kaderproblemen der St. Louis Blues zusätzlich profitieren konnten. Titelverteidiger Tampa Bay konnte sich trotz starker Gegenwehr der Florida Panthers in sechs Spielen durchsetzen.

Vier designierte Aussenseiter jedoch waren mit den Favoriten auf Augenhöhe: Besonders die Winnipeg Jets und die Canadiens de Montréal, aber auch die ausgeschiedenen Minnesota Wild und Nashville Predators forderten ihre Gegner, die ihrerseits unter massivem Erfolgsdruck standen und deren Playoffleistung scheinbar darunter litt. Beispiel 1: Den Topstars der Maple Leafs und Edmonton Oilers haftete schon vor den Playoffs 2021 der Ruf an, dass sie „Schönwetter-Stars“ seien. Wie einst bei Alex Ovechkin müssen zum Beispiel Marner, Matthews, Draisaitl, McDavid & Co. erst mal beweisen, dass sie ihr Team zum Titel führen können – oder zumindest in eine Playoff-Finalserie. Dieser Aspekt und die aktuelle Formkurve sowie auch der psychologische Anteil beim viel zitierten Momentum – das sind einige dieser oft unterschätzten, aber sehr relevanten „Intangibles“. Sicher waren – wie im Falle der Nashville Predators und Montreal Canadiens - auch die Overtime-Siege und der Kampfgeist nach zunächst klarem Rückstand in der Playoffserie ein Faktor.

Der Faktor Kaderdynamik....

Dass auch taktisch und hinsichtlich der Kaderdynamik einige Aspekte mitspielen, wenn Aussenseiter erfolgreich sind, zeigten die Beispiele Winnipeg und Montreal besonders deutlich: Mit einer taktisch-defensiven Meisterleistung in den Partien 1 und 2, mit etwas Glück in den Overtimes und dank der Rückkehr des taktisch wichtigen Schlüsselspielers Nikolai Ehlers (offensiv wie auch defensiv wichtiger Spieler mit einem sehr gefährlichen, ansatzlosen Handgelenkschuss) haben die Jets den Oilers den nicht nur sportlich, sondern auch psychologisch schmerzhaften „Sweep“ verpasst. Nicht zu verachten ein weiteres Intangible: Das Team hatte in der Endphase der Qualifikation eine schwere Phase, die kurz vor den Playoffs überwunden wurde. Die Mannschaft startete ohne übermässigen Druck in die Playoffs und wächst nun mit jedem Erfolg noch enger zusammen.

Die Habs indessen konnten einige Male ab Spiel 5 das Momentum nutzen und den Leafs sowohl spielerisch, kämpferisch wie auch psychologisch – unter anderem durch Siegtore, nachdem man zuvor eigentlich schon Drei- und Zweitore-Führungen verspielte - den Schneid abkaufen. Es war zudem auch wie eine frische Brise in Montreals zuweilen unproduktiver Offensive, als man endlich die beiden hochtalentierten Nick Suzuki und Cole Caufield in einem Sturmtrio vereinte (Suzuki als spielstarker Center, Caufield als Shooter) und sie von der Leine liess. Sie haben nicht nur entscheidende Tore beigesteuert, sondern mit ihrer Begeisterung das ganze Team mitgerissen und die Fans begeistert. Da soll noch einer mal sagen, dass die Intangibles kein Faktor sind in den Playoffs.

Joël Ch. Wuethrich publiziert wöchentlich Hintergrundberichte über die NHL in der führenden Deutschen Fachpublikation Eishockey News und hat ein ausgezeichnetes Beziehungsnetz in Nordamerika. Seit 1992 ist er Chefredaktor diverser namhafter Publikationen, unter anderem auch war er beim Slapshot sowie beim Top Hockey Chefredakteur und war zudem lange Jahre für den Spengler Cup strategisch in Marketing und PR sowie als Chefredaktor tätig. Joël Ch. Wuethrich leitet seit 1992 hauptberuflich eine crossmedial aufgestellte PR-Agentur und eine Player's Management Agentur (Sportagon), ist Crossmedia-Stratege und HF-Dozent mit Lehrauftrag für Kommunikation und Marketing. Er analysiert seit 30 Jahren als Autor/Chefredakteur in der Schweiz, Deutschland sowie in Kanada die NHL und beobachtet das Eishockeygeschehen weltweit intensiv. Der Familienvater (zwei Kinder) arbeitet in der Schweiz und in Montréal, wo ein grosser Teil seiner Verwandtschaft wohnt.

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