NHL Observer

Viele Sportler/innen sind in manchen Situationen schlicht überfordert. Besonders, wenn sie ihre Komfortzone – also das Auskunft geben von sportlich relevanten Inhalten – verlassen müssen. Das aktuelle Beispiel mit Alexander Ovechkin ist ein Beleg dafür.

In der NHL hat sich seit der Jahrhundertwende viel Positives getan. Auch im Bereich der Kommunikation und der Publikationsmöglichkeiten. Die Anfragen und die Anzahl der Interview-Wünsche stieg exponentiell. Auch aufgrund des Aufkommens neuer Medien- und Publikationsplattformen. Aber eine Entwicklung wurde gewissermassen zu einem Boomerang: Im Zuge der Professionalisierung der Kommunikationsabteilungen wurden die NHL-Profis in aller Regel durch das Kommunikationsteam beziehungsweise durch die Kommunikationsstrategen der Clubs mit passgenauen Äusserungen zu jeder (sportlichen) Frage gefüttert. Die Gründe sind vielseitig. Einer davon lässt sich mit dem Konzept der „Integrierten Kommunikation“ erklären (die Erklärung dazu findest du hier). Die Folge: viele Antworten klingen wie vorgefertigt oder wie wenig aussagekräftige Plattitüden. Nur noch wenige zeigen Kante und begeben sich aus der Komfortzone. In manchen Fällen folgt danach eine Abmahnung durch den Club. Darauf haben die wenigsten Lust.

Glaubwürdigkeit und Image schwer beschädigt

Anschauungsunterricht zu diesem Thema gab es nun im Zuge des Ukraine-Kriegs. Und zwar bei keinem geringeren als bei Alexander Ovechkin. Dieser hat nun ein ausgewachsenes Glaubwürdigkeitsproblem. Und dies trotz oder sogar wegen seiner bisherigen Äusserungen zum Ukraine-Krieg. Er spricht sich zwar klar gegen kriegerische Auseinandersetzungen im Generellen aus. Aber sein in den letzten Jahren zelebriertes freundschaftliches Verhältnis zu Vladimir Putin sorgt nun für einen gehörigen Shitstorm.

Die Angst vor der eigenen Courage oder eben doch ein Putin-Bewunderer?

«Bitte keinen Krieg mehr, wir müssen in Frieden leben», sagte Alexander Ovechkin nach einem Training der Washington Capitals, als der Krieg in der Ukraine ausbrach. Die Lage sei beängstigend, schob er nach. Und: «Wir können nichts tun.» Mit der ersten Aussage kann man ja noch leben, zumal man den schwierigen kommunikativen Spagat nachvollziehen kann, den aktuell viele Russische Sportlerinnen und Sportler zu vollziehen haben. Aber die zweite Wortmeldung sorgt für Unmut, angesichts der Möglichkeiten und Reichweite, die Alex Ovechkin auf Instagram (1,6 Millionen) oder Twitter (2,5 Millionen) hat. Nachvollziehbar, dass sich der in Russland wie ein Popstar gefeierte «Ovi» nicht mit Äusserungen und gezielter Kritik gegen sein Land ins Abseits manövrieren möchte. Was jedoch nicht verständlich erscheint: „Ovi 8“ hat das Profilbild auf Instagram, das ihn stolz an der Seite von Freund Putin zeigt, nicht ausgewechselt. Seit Jahren präsentiert er sich immer wieder stolz neben dem russischen Machthaber.

Shitstorm aussitzen oder doch noch proaktiv werden?

Alexander Ovechkin gehört – und das ist bekannt - zu den überzeugendsten Putin-Befürwortern. 2017 rief er sogar das «PutinTeam» ins Leben. Seine Erklärung: «Er ist mein Präsident und ich bin kein Politiker, ich bin Sportler. Ich hoffe sehr, dass das alles bald vorbei ist.» Viele sind verärgert über diese Aussage. Einer der ehemaligen Superstars der „Caps“, der Ukrainer Dmitri Kristich (auch er trug damals in den 90ern die Nummer 8), lancierte daraufhin einen emotionalen Appell. Am deutlichsten äusserte sich NHL-Legende Dominik Hasek, der den „Caps“-Captain als Lügner bezeichnet. «Jeder Erwachsene in Europa weiss genau, dass Putin ein wahnsinniger Killer ist», so der Tscheche. In verschiedensten Medien wie beispielsweise «SB Nation» war zu lesen: «Zu sagen, dass er sich hilflos fühlt, ist ein unaufrichtiger Versuch, seine Bedeutung herunterzuspielen». Auch die «Montreal Gazette» wird deutlich und meint, dass Ovechkin sehr wohl Einfluss hätte und diesen einsetzen könne, um den Tyrannen zu beeinflussen.

Total überfordert – Die Folge: ein PR-Super-GAU

Viele Sportler/innen sind in solchen Situationen schlicht überfordert. Sie werden, wie schon im Intro beschrieben, in aller Regel durch das Kommunikationsteam der Clubs mit passgenauen Äusserungen und Plattitüden zu jeder (sportlichen) Frage gefüttert. Problematisch für Ovechkin wird nun, dass er sich nicht an die sich überschlagenden Ereignisse anpasst und die Angelegenheit gewissermassen aussitzen möchte. Das misslingt gehörig, zumal auch sein Arbeitgeber, die Washington Capitals zuletzt ebenfalls in einen Shitstorm gerieten. Was ist passiert: Man hat offenbar Ukraine-Flaggen von Fans konfisziert. Demnach habe das Sicherheitspersonal am Donnerstag (Ortszeit) beim Spiel der Capitals gegen die Carolina Hurricanes eine neue Anweisung gezeigt, auf der explizit stand: „No Ukraine/Russia Signs“. Ein Foto des Auszugs der Anweisung hatte in den Sozialen Medien grosse Aufregung ausgelöst.

Joël Ch. Wuethrich publiziert wöchentlich Hintergrundberichte über die NHL in der führenden Deutschen Fachpublikation Eishockey News und hat ein ausgezeichnetes Beziehungsnetz in Nordamerika. Seit 1992 ist er Chefredaktor diverser namhafter Publikationen, unter anderem auch war er beim Slapshot sowie beim Top Hockey Chefredakteur und war zudem lange Jahre für den Spengler Cup strategisch in Marketing und PR sowie als Chefredaktor tätig. Joël Ch. Wuethrich leitet seit 1992 hauptberuflich eine crossmedial aufgestellte PR-Agentur und eine Player's Management Agentur (Sportagon), ist Crossmedia-Stratege und HF-Dozent mit Lehrauftrag für Kommunikation und Marketing. Er analysiert seit 30 Jahren als Autor/Chefredakteur in der Schweiz, Deutschland sowie in Kanada die NHL und beobachtet das Eishockeygeschehen weltweit intensiv. Der Familienvater (zwei Kinder) arbeitet in der Schweiz und in Montréal, wo ein grosser Teil seiner Verwandtschaft wohnt.

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